Die additive Zusatzqualifizierung Berufssprachkurse - vom BAMF im Herbst 2020 implementiert - war für viele von uns in den letzten 12 Monaten neben Corona eine der großen Herausforderungen, die es zu bewältigen galt.
Planung, Zeitpunkt und Rahmenbedingungen der Maßnahme
wurden von der Mehrheit der Beteiligten als suboptimal empfunden. Während die Möglichkeit von Fortbildung an sich generell begrüßt wurde, wurde auch das Curriculum sehr kontrovers diskutiert: einige Kolleg*innen stuften es für sich als passend ein, während andere die Inhalte aufgrund der eigenen Berufserfahrungen und Fortbildungen als redundant bewerteten. Eine sehr hohe Zustimmungsrate dagegen erzielten die P2P-Elemente der Fortbildung, die von vielen als bereichernde Nebeneffekte der ZQ BSK mitgenommen wurden.
Was bedeutet P2PL?
peer
(englisch; ausgesprochen wie das deutsche Wort Pier) bedeutet so viel wie Gleichrangige
oder Ebenbürtige. P2PL - also Peer-to-Peer-Lernen - bedeutet, dass Expertinnen und Experten der Praxis ihre Erfahrungen untereinander austauschen, voneinander und miteinander lernen und gemeinsam mehr über ihre eigene Arbeit herausfinden. Besonders in den zeitlichen und inhaltlichen Räumen, in denen ZQ-Qualifizierende den Dozent*innen Möglichkeiten boten, sich auszutauschen, von- und miteinander zu lernen und Themen zu entwickeln, wurde die ZQ als gewinnbringend beurteilt. Man kann aus jeder Zitrone noch Saft gewinnen.
Es gibt vier Anforderungen, mit denen das tradierte BAMF-Format der ZQ-Qualifizierungen schlecht umgehen kann und zu denen P2P-Formate hilfreiche Antworten geben können:
ungeduldig und aktuell - Es eilt!
Die Fluchtsituation 2015 und Corona waren relativ spontane Herausforderungen, für die der zeitliche Vorlauf einer ZQ-Entwicklung sich als zu lang erwiesen hat. Erinnern wir uns: Die Herausforderung eines traumasensiblen Unterrichts stellte sich uns 2015, die ZQ Trauma kam 2019 an den Start. Angesichts rasanter Entwicklungen in vielen Feldern, allein im digitalen Bereich, sind das keine guten Voraussetzungen. Peer-to-Peer-Fortbildungen können helfen, wenn der Fortbildungsbedarf zeitlich drängt und/oder auf aktuelle Entwicklungen eingegangen werden muss.
unsicher und dynamisch - Es ist unklar!
In der tradierten ZQ-Fortbildungsstruktur muss ein Fortbildungsbedarf in einem ersten Schritt überhaupt erst offiziell festgestellt werden. Die ZQ Orientierungskurse hat die meisten Kolleg*innen auf vieles, aber eben nicht auf das Themenfeld fake news und Medienkomptenz vorbereitet. Diskriminierungskritische Bildungsarbeit ist Kolleg*innen seit Jahren ein wichtiges Thema, findet sich in den ZQs aber noch nicht angemessen eingebunden. Wir arbeiten in einem Arbeitsbereich, der durch globale Migrationsprozesse und Digitalisierung und damit durch Unbeständigkeit und Unvorhersehbarkeit geprägt ist. Und genau deshalb ist unser Fortbildungsbedarf besonders hoch! P2P-Fortbildungen können helfen, wenn der Fortbildungsbedarf sich nicht mit Exaktheit beschreiben und statisch abgrenzen lässt, sondern Raum für Flexibilität und Anpassung braucht.
ungenau und multiperspektivisch - Es ist kompliziert!
Wenn ein Fortbildungsbedarf komplex und mehrdeutig ist, ist das für ein traditionelles Fortbildunsgformat eine schwierige Situation. Denn gerade im Bildungsbereich hängt noch viel an der Idee, dass es »die eine« richtige Lösung geben müsse, die von
einer wissenden Institution oder Person in die Breite getragen wird. Häufig handelt man lieber gar nicht oder zu spät als mit halb-fertigen Antworten. Aber genau das braucht es bei vielen aktuellen Herausforderungen wie jetzt zum Beispiel in der Digitalisierung: halbfertige Antworten, an denen gemeinsam weitergearbeitet wird. Denn Halbfertiges hat den Vorteil, dass es über Austausch, Aushandeln, Ausdiskutieren ausgeformt werden kann. Dieser Ansatz erkennt an, dass es nicht die Einheitslösung für alle gibt, sondern Lösungen vor Ort entwickelt werden müssen, angepasst an die jeweilige Zielgruppe, das jeweilige Sprachniveau, das jeweilige Berufsziel etc.. Dazu gehört auch, dass nicht eine Lehrperson die Antworten auf alles hat, sondern dass unterschiedliche Perspektiven helfen, den Gegenstand zu verstehen, zu beschreiben und zu bearbeiten. P2P-Fortbildungen können helfen, wenn der Fortbildungsbedarf an konkrete Gegebenheiten anpassbar ist und durch unterschiedliche Perspektiven beleuchtet werden kann
unabgeschlossen und prozessorientiert - Es ist offen!
Traditionelle Fortbildungen setzen meist punktuell an. Es gibt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine entsprechende Maßnahme,
manchmal auch mehrere. Danach wechselt bei den Lernenden der Status auf »fortgebildet« und man kann das Thema abhaken. So wie bei den ZQs. Für manchen Fortbildungsbedarf mag dieses Vorgehen noch passen. Aber wir haben es immer häufiger mit Herausforderungen wie z.B. mit digital skills zu tun, zu denen wir kontinuierlich lernen und unser Vorgehen auf dem Weg anpassen müssen. P2P-Fortbildungen können helfen, wenn der Fortbildungsbedarf nicht nur punktuell anfällt, sondern als andauernder Prozess verstanden werden kann. Dazu gehört auch: Viele Lösungen auf komplexe Probleme gibt es noch gar nicht. Sie müssen in Fortbildung nicht gefunden, sondern erst entwickelt werden. Standardlösungen funktionieren nicht. Es braucht kein Standardrezept, sondern individuelle Lösungen für die eigene Situation. Das bedeutet auch, dass bei vielen Fortbildungen nicht nur die Frage »Wie funktioniert das?« beantwortet werden muss, sondern hintergründig auch die Frage »Wie wollen wir unterrichten?« oder »Wie wollen wir lernen?« stetig neu ausgehandelt werden muss.
Die Herausforderungen der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass wir mehr denn je Fortbildung brauchen - aber deutlich anders als in den tradierten ZQ-Formaten. Die Anforderungen, denen wir uns stellen müssen, können wir zum Teil mit P2P-Formaten begegnen, was aber nicht heißt, dass wir auf die hervorragenden Fortbildner*innen und Fortbildungseinrichtungen verzichten könnten, die uns bisher auf unserem Weg begleitet haben.
Auch P2PL braucht ihre Impulse, Begleitung und Expertise.
Unsere Textversion zu den vier Anforderungen an P2P beruht auf einer Arbeit von »Jöran Muuß-Merholz /
OERcamp bei Beltz in der Verlagsgruppe Beltz«. Das Gesamtwerk und der Text stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.