Unter Pandemiebedingungen Deutschunterricht durchzuführen und dabei auch wirtschaftlich überleben zu können, ist herausfordernd. Eine Chance bietet das virtuelle Lernen. Um das voranzutreiben, hat der Bund den Druck auf die Träger und Lehrkräfte in Integrations- und Berufssprachkursen erhöht. Die unterstützende Finanzhilfe
SodEG
- die 2020 noch erfolgreich den Bestand vieler Träger und Lehrkräfte sicherte - gibt es seit dem 01.01.21 vom Bund nur noch, wenn dort - wo Präsenzunterricht nicht möglich ist - in das virtuelle Lernen gewechselt wird.
Technik kann dabei durchaus eine Lösung sein. Ein Hemmnis, virtuelle Klassenzimmer durchführen zu können, ist das oft fehlende WLAN der Teilnehmenden. Stiftung Warentest hat 2021
Mobile WLAN-Router
getestet, die Teilnehmenden erlauben, auch ohne eigenen DSL-Anschluss ins Netz gehen zu können. Nicht billig, vor allem, wenn man bedenkt, wie datenaufwendig Videokonferenzen sind. Dennoch, mobile WLAN Router mögen für den ein oder anderen Kurs eine Lösung sein. Und da, wo Teilnehmende nur kleine Smartphones haben, kann ein Träger die Pandemiezulage verwenden, um geeignete Tablets zu kaufen.
Technik kann aber nicht alles. Viele unserer Mitglieder haben sich sehr intensiv mit der Möglichkeit, online-Unterricht durchzuführen, auseinandergesetzt. Einige konnten ihre Kurse sehr schnell ins Virtuelle Klassenzimmer transferieren, andere dagegen hatten trotz intensiver Bemühungen damit große Schwierigkeiten. Entscheidend war dabei nicht der Umsetzungswille, sondern häufig waren die Ursachen strukturbedingt. Es macht einen Unterschied, ob man junge, bildungsgewohnte Lernende auf B2-Niveau hat oder ältere Alpha-Lerner*innen. Wir haben in den letzten Monaten intensiv versucht, diese Ursachen auch für die Politik transparent zu machen. Reformiert wurden allerdings eher Faktoren wie der Einsatz von Lernmanagement-Systemen, der nicht umstritten war und eher nicht zu den Hemmnissen beitrug.
Nach Praxiserfahrungen unserer Mitglieder gibt es viele Ursachen, Kurse nicht ins Virtuelle Klassenzimmer transferieren zu können. Viele davon sind strukturbedingt und nicht vom Träger zu beeinflussen.
Unter der aktuell nicht sichergestellten Kinderbetreuung müssen sich viele der Teilnehmenden gegen eine Weiterführung am Sprachkurs entscheiden, da sie eine regelmäßige Teilnahme nicht leisten können. Das BAMF hat im Zwischenbericht zu Evaluation der Integrationskurse selbst die
multiplen Problemlagen der Lernenden
insbesondere - aber nicht nur - in Alphabetisierungskursen hingewiesen. Unter Pandemiebedingungen haben sich diese Problemlagen massiv verschärft. Nicht wenige unserer Teilnehmenden haben viele Kinder, die aktuell nicht betreut werden und keinen Anspruch auf Notbetreuung haben. Das wurde von vielen Rekos (Regionalkoordinator*innen des BAMF) nicht als Grund anerkannt, nicht am Virtuellen Klassenzimmer teilnehmen zu können. Das halten wir für weltfremd.
Das BAMF verweist als Lösung auf die Möglichkeit von Wechselunterricht. Eine spontane Rückmeldung einer Kollegin macht das Problem für die Praxis anschaulich:
Hat auch mal jemand darüber nachgedacht, dass in einem Kurs TN sitzen, von denen die Kinder zu verschiedenen Schulen gehen oder bei mehreren Kindern in diversen Klassen auch wiederrum unterschiedliche Wechselmodelle laufen? Es hat sich für uns nicht realisieren lassen, aus diesen Puzzleteilen ein Kursangebot mit entspr. Kurszeit zu finden, die für alle passt.
Zudem entscheiden sich Teilnehmende auch aus einem rationalen Nutzerverhalten gegen eine Weiterführung der Sprachkurse, da viele befürchten, ihre kontigentierten Unterrichtsstunden unter den Gegebenheiten mangelnder Kinderbetreuung nicht effektiv nutzen zu können. Oft sind es kinderreiche Familien, beide Elternteile besuchen einen Sprachkurs, die Wohnverhältnisse sind beengt ...
Mit einer dadurch geringeren Teilnehmer-Zahl sind die Kurse nicht ausreichend finanziert, zumal die Zusteuerung neuer Teilnehmenden aufgrund der Pandemiebedingungen und den eingeschränkten Beratungsterminen in den zusteuernden Behörden stark zurückgegangen ist. Geringere Teilnehmerzahlen, mobile WLAN-Router und Verträge, Tablets, Onboarding - um alles gleichzeitig finanziell bestreiten zu können, reicht die Pandemiezulage in vielen Kursen nicht aus.
Zudem haben einige Rekos darauf bestanden, dass der gesamte Kurs ins Virtuelle Klassenzimmer wechselt, also alle oder keiner. Wenn sich einige Teilnehmende weigern oder die beschriebenen plausiblen Gründe haben, wird das schwierig.
Kurse, in denen Teilnehmende mit vertrauten Endgeräten und einer hinreichenden Digitalkompetenz sitzen, konnten durch Onboarding oder durch Vorbereitung im Präsenzunterricht während des Sommers erfolgreich auf den Unterricht im Virtuellen Klassenzimmer vorbereitet werden. Aber auch hier gibt es Einschränkungen, denen Träger ganz unterschiedlich je nach Zielgruppe unterworfen sind.
Für viele der älteren und/ oder Alpha-Teilnehmenden braucht es mehr als ein Onboarding oder eine Vorbereitung im Kurs, um sicher mit digitalen Medien und Endgeräten umgehen zu können. Wenn man das eigene Handy nicht nutzen darf, sondern mit Geräten umgehen muss, die einem nicht vertraut sind, ist das schwierig und erzeugt Ängste.
Das Lösungsangebot des BAMF, dass bis zu 50% der TN eines Kurses in den ersten 100 UE ihr Handy nutzen dürfen, ist eine Scheinlösung. Was macht man mit den anderen 50% eines digital sehr unerfahrenen Kurses und was ist nach 100 UE?
Wir haben Kolleg*innen zu ihren Erfahrungen befragt:
- unseren Alpha-TN fehlt die nötige Lesekompetenz. Da viele TN noch nicht das lateinische Alphabet und / oder das Synthetisieren der Buchstaben beherrschen, ist die Arbeit mit solchen Programmen unmöglich.
- Der deutsche Wortschatz ist noch viel zu gering ausgeprägt, um die Technik und die Programme bedienen zu können.
- Unsere TN benötigen jede Stunde, die sie kriegen können. Ich kann das nicht verantworten, dass sie ihre Stunden in einem Kursformat verlieren, das sie total überfordert.
- Die TN verfügen über keine englischsprachigen Kenntnisse, die jedoch für den Umgang mit der Technik u. den jeweiligen Programmen notwendig sind (scrollen, Update, enter,....)
- Die Bezeichnung der Tastaturfelder und der Umgang damit ist ihnen nicht geläufig. Für viele Alpha-Teilnehmende ist es auch zu abstrakt. Viele unserer Teilnehmenden aus dem Alpha-Bereich haben bereits Schwierigkeiten und Ängste, das eigene Gerät aus- und wieder einzuschalten.
- Teilweise ist die Merkfähigkeit der TN stark eingeschränkt, weshalb diese TN die im Präsenzunterricht geübten Inhalte zum digitalen Lernen oftmals nicht mehr Zuhause parat haben. Sie sind dann nicht in der Lage, sich die Inhalte eigenständig wieder zu erarbeiten. Und wenn ich dann auch noch in den WLAN-Router einführen muss!
- Der Umgang mit einem Leihgerät müsste zunächst intensiv im Präsenzunterricht geübt werden, was sehr zeitaufwendig wäre. Der effektive Nutzen / Lernzuwachs stehen im Vergleich zum Zeitaufwand in keinem Verhältnis und gingen erheblich von unserem Zielauftrag, DaZ und Alpha zu unterrichten, ab.
-die Einführung in fremde Endgeräte und Programme im sogenannten Onboarding oder vorbereitend im Präsenzunterricht ist bei unerfahrenen und ängstlichen Teilnehmenden sehr zeit- und beratungsaufwendig. Dabei ist eine 1:1 Begleitung direkt am Gerät notwendig und ein Sicherheitsabstand ist nicht möglich. Wir konnten unsere Lehrkräfte dieser gesundheitsgefährdenden Situation nicht bei so vielen Teilnehmenden für einen ganzen Kurs aussetzen.
Aus einigen Regionen haben wir die Rückmeldung erhalten, dass die Rekos sowohl die fehlende Kinderbetreuung, Kinderreichtum als auch einen Alpha-Kurs nicht als Gründe anerkennen, dass man nicht ins Virtuelle Klassenzimmer wechseln kann.
Es gibt bisher keinen Kriterienkatalog, der den o.g. Einzelfall definiert. Entscheidungen der Rekos dazu fallen bundesweit bisher sehr heterogen aus. Die einen bestätigen die Einschätzung, dass virtueller Unterricht für Alpha-Kurse und Integrationskurse bis einschließlich Modul 3 keine Alternative ist und dass Elternkurse unter der aktuellen Kinderbetreuungssituation nicht vom virtuellen Unterricht profitieren können. Andere verneinen dies entschieden und verweisen auf die Möglichkeiten des Onboardings und der Pandemiezulage.
Als wenn diese heterogenen Entscheidungen für die Kursplanenen nicht problematisch genug wären, gibt es auch keinerlei Rechtssicherheit im Prüfverfahren. Das BAMF behält sich im SodEG-Verfahren und in der Abrechnung der Pandemiezulage eine nachträgliche
Prüfung vor, ob der Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung gerechtfertig wäre oder nicht, ohne
vorher entsprechende Kriterien transparent gemacht zu haben. Zudem haben sich die Kriterien rückwirkend im laufenden Prozess geändert. Das widerspricht unserem Verständnis von Rechtssicherheit.
Das Ausweichen auf virtuellen Unterricht unter Pandemiebedingungen ist ein gesellschaftlich geteiltes Ziel. Das aktuelle Verfahren allerdings ist nicht lösungsorientiert und benachteiligt zudem strukturell
einen Teil der Lehrkräfte und Träger in ihrer wirtschaftlichen Existenz.
Selbst Träger, die ihren Unterricht zu 100% in den virtuellen Raum verlegt haben, berichten, dass sie so auf Dauer nicht wirtschaftlich arbeiten können - Raumabmietungen sind bereits erfolgt in der Hoffnung, wenigstens einen Teil des Betriebes retten zu können.
Auch einige Bundesländer sind aufgrund des Verfahrens stärker als andere herausgefordert, ihre Träger- und Lehrkräftelandschaft und somit ein vielfältiges und kompetentes Kursangebot nachhaltig zu bewahren.