Das Forschungszentrum des BAMF hat auf der Datengrundlage von 17 Interviews mit insgesamt 19 Lehrkräften von allgemeinen Integrationskursen und Alphabetisierungskursen aus allen Bundesländern sowie drei Experteninterviews mit Mitarbeitenden der zuständigen Arbeitsbereiche des BAMF ein
Arbeitspapier zum Digitalen Lehren und Lernen im Integrationskurs
vorgelegt. Das Working Paper 91 befasst sich mit den Erfahrungen der Integrationskurslehrkräfte hinsichtlich der Verwendung von digitalen Medien und Unterrichtsformen in den Integrationskursen während der COVID-19-Pandemie.
Folgende Ergebnisse wurden seitens des BAMF formuliert:
- Befürwortung der Verwendung digitaler Medien
- Erfahrungen mit digitalem Unterricht abhängig von der schriftsprachlichen Kompetenz und dem Bildungshintergrund der Teilnehmenden
- Spezifische Vorteile des digitalen Unterrichtens
- Negative Auswirkungen digitaler Unterrichtsformate auf die soziale Funktion
- Didaktische Unterstützung bei der Nutzung von digitalen Medien und Unterrichtsformaten
Wir begrüßen, dass Praktiker*innen zu ihren Erfahrungen befragt wurden und schließen uns den Einschätzungen der Lehrkräfte an. Dass Erfahrungswerte durch eine wissenschaftlich begleitete Evaluation fundiert werden, ist generell begrüßenswert.
Als BVIB e.V. möchten wir allerdings Ergänzungen anfügen, die uns daran hindern, uns dem Fazit der Studie (Seite 45) anzuschließen:
Die Interviews wurden von Februar bis März 2021 geführt. Es ist schön, im November 2021, knapp 18 Monate nach dem ersten Lockdown, eine qualitative Studie zur Verfügung zu haben, aber diese ersetzt kein prozessbegleitendes, bottom-up geführtes Qualitätsmanagement, das wir als Berufsverband einfordern. Viele der Erkenntnisse hätte man weit vorher durch agile Methoden der Steuerung niedrigschwelliger erheben und bereits im Prozess bearbeiten können.
Die Befragungsgruppe ist mit 17 Lehrkräften sehr klein, zumal nur sechs der 17 Lehrkräfte sich in den Interviews auf eigene Erfahrungen mit dem Virtuellen Klassenzimmer (VK) beziehen konnten (S. 17-18). Da wir als Berufsverband die Kolleg*innen, die in VKs tätig waren, intensiv über die 18 Monate hinweg begleitet haben, wissen wir, dass die Bandbreite des Erfahrungswissens und vor allem aber auch der Lösungsstrategien mit 6 Lehrkräften nicht annähernd ausgeschöpft ist.
In der Studie wird an vielen Stellen deutlich, dass die Transformation in den digitalen Unterrichtsraum nur durch eine systematische und nicht refinanzierte Überforderung der Lehrkräfte sowie der Kurskoordinator*innen/ Träger gelingen konnte: Der Übergang zum Virtuellen Klassenzimmer konnte in den meisten Fällen nur deswegen bewerkstelligt werden, weil sich die betreffenden Lehrkräfte mit einem hohen Grad an Eigeninitiative und mit viel Zeitaufwand auf diese Aufgabe vorbereiteten
(S. 45) Hier hätte man im Laufe der 18 Monate mit übergeordneten Unterstützungs- aber auch Finanzierungsstrukturen reagieren können. Entsprechende Handlungsempfehlungen fehlen in der Studie.
Das Arbeitspapier macht leider deutlich, dass auch die Erfahrungen aus der Pandemie noch immer nicht zu dem Bewusstsein geführt hat, dass es sich bei den Integrations- und Berufssprachkursen um systemische und interdependente Prozesse handelt. Wenn eine Studie in der Betrachtung den Fokus allein auf Lehrkräfte und Unterricht legt, den Aufgabenbereich der Kurskoordinator*innen größtenteils und die Einflussfaktoren des BAMF als steuerende Behörde komplett ausblendet, ist die Studie aus unserer Sicht nicht aussagefähig genug, um Handlungsempfehlungen zu formulieren.
Ein wesentlicher Faktor, nämlich der der digitalen Ausstattung/ Teilhabe wird hier sträflich vernachlässigt und wir finden keine entsprechenden Handlungsempfehlungen im Fazit, die die Möglichkeiten der Teilnehmenden, am digitalen Leben teilhaben zu können, konsequent stärken. Ein anderer Faktor, der dazu geführt hat, dass ein Teil der Lehrkräfte und Träger und hier vor allem die Kurskoordinator*innen sich an der digitalen Transformation nicht begleitet haben, war die unzureichende Informationspraxis des BAMF zu der rechts- und damit abrechnungssicheren Durchführung und Dokumentation der Virtuellen Klassenzimmer, die sich sehr kleinteilig über verschiedenste Trägerrundschreiben vollzog, sich überwiegend an Träger und nur gering an Lehrkräfte ausrichtete und kaum zeitnahe und rechtssichere Informationssicherung zuließ.
Die Handlungsempfehlungen münden in der Empfehlung, Lehrkräfte fortzubilden. Dieser Einschätzung schließen wir uns an, allerdings zeigt sich auch hier wieder der unkundige Blick auf die systemisch bedingte Praxis. Wesentliche Katalysatoren - nicht für die Durchführung des Unterrichts, sondern die Einrichtung der Kurse - waren die Fachbereichsleitungen, Kurskoordinator*innen etc. die mit ihren Fragen an die rechts- und abrechensichere Durchführung vom BAMF unzureichend begleitet und unterstützt wurden. Diese in ein Fortbildungs- und Supportnetzwerk einzubinden, wäre dringend nötig gewesen. Viele Lehrkräfte wären bereit gewesen,digital zu unterrichten, hatten z.T. aber keine Träger, die den Weg mitgehen konnten. Hier wären Unterstützungsstrukturen mit einem Blick auf das Gelingen hilfreich gewesen.
Auch das Fazit, dass man mit der Einrichtung des DaZ-Moduls "Medienkompetenz" bereits auf die Herausforderung reagiert habe, zeigt, dass man sich mit den Herausforderungen der digitalen Transformation nicht ausreichend beschäftigt hat. Sowohl Migration als auch Digitalisierung sind höchst dynamische Prozesse, auf die es keine fertigen Antworten gibt. Dies ist der Tenor aller Expert*innen rund um das Themenfeld "Digitalisierung in der Erwachsenenbildung", wie sich erst Anfang November in einer Tagung zur digitalen Transformation des DIE - Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung gezeigt hat. Hier kann es nur Prozesse geben, man muss mit dem Unfertigen leben lernen und sich immer wieder neu aufstellen. Das DaZ-Modul mag ein Einstieg für Lehrkräfte sein, die jetzt starten. Ein alleiniges oder verpflichtendes Angebot für den Großteil der Lehrkräfte kann es nicht sein, denn diese sind mittlerweile methodisch-didaktisch und in ihrem theoretischen Wissen um digital gestützte Lernprozesse viel weiter. Das DaZ Modul "Medienkompetenz" hält mit dieser Dynamik und dem Bedarf fortgeschrittener Lehrkräfte nicht Schritt. Die meisten hatten sich zu Beginn der Pandemie bereits selbstständig fortgebildet, da das DaZ-Modul "Medienkompetenz" zu dem Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung stand. Sie mussten auf Angebote anderer Bildungsbereiche oder Länder zurückgreifen, die zeitnah und bedarfsorientiert reagierten. Auch die großen Lehrwerksverlage haben dankenswerterweise das Vakuum gefüllt und großartige und kostenfreie Fortbildungen angeboten, die weit über das Basis-Angebot des DaZ-Moduls hinausgingen. Von Nachteil war auch, dass alle Akteure zur Unzeit verpflichtend in die ZQ Berufssprachkurse eingebunden waren.
Wir plädieren aus diesem Grund für eine verstetigte und bedarfsorientierte Reform des Fortbildungswesens für Integrations- und Berufssprachkurse, die sich nicht an der direktiven top-down-orientierten Struktur des BAMF ausrichtet, sondern agil und bottom-up agiert.
Insofern schließen wir uns dem Fazit "Weiterbildung" unbedingt an, aber nicht in der aktuellen Struktur.
Wir vermissen eine konsequente Ausrichtung auf eine unterstützende und fragende Kultur, die nah an den Akteuren und Prozessen agiert.